Hinduistische Verbrennungszeremonie in Varanasi

Wahre Intensität haben ich in Varanasi erlebt. Die heiligste Stadt Indiens wird für immer in meiner Erinnerung bleiben. Nervlich war diese Stadt ein Feuerwerk der Gefühle. Ich war überwältigt von Trauer und Schmerz, von Angst und Respekt, aber auch vor Liebe und Erfülltheit. Ich bin unglaublich dankbar Teil von den Zeremonien dieser Stadt gewesen zu sein und eine neue Perspektive auf den Tod bekommen zu haben. Ich war teilweise einfach so schockiert von den Anblicken, die ich dort erlebt habe, dass ich am ganzen Körper nur noch gezittert habe.

Ich machte mich am Nachmittag zusammen mit zwei weiteren Reisebegleitern auf den Weg in die Innenstadt Varanasis. Die Innenstadt liegt direkt am Flussufer des heiligen Flusses Ganges. Gemäß hinduistischer Mythologie wird der Ganges als die Göttin Ganga personifiziert. Es wird geglaubt, dass sie aus den Haaren des Gottes Shiva entspringt und auf die Erde hinabfließt, um die Gläubigen von Sünden zu reinigen und Erlösung zu gewähren. Deshalb glauben Hindus, dass das Baden im Ganges spirituelle Reinigung und Erlösung von Sünden bringen kann. Daher pilgern Millionen von Menschen jedes Jahr zu den Ufern des Ganges, um sich in seinen Gewässern zu waschen und religiöse Rituale durchzuführen.

Eben genau diese Rituale waren uns, die uns reizten und die wir hautnah miterleben wollten. Die Verbrennungsrituale sind wohl die bekanntesten Rituale und gleichzeitig der Grund, weshalb jeden Tag schwerkranke Menschen mit ihren Familien in diese Stadt kommen, um genau an diesem Ort zu sterben. So geht der Hinduistische Glaube davon aus: Wer in Varanasi unmittelbar direkt nach dem Tod verbrannt wird, wird den Zirkel der Reinkarnation überwinden und Moksha finden.

Im Hinduismus ist der Glaube an die Reinkarnation ein zentraler Aspekt. Es wird angenommen, dass die Seele nach dem Tod in einen neuen Körper wiedergeboren wird, basierend auf den Handlungen (Karma) der vorherigen Leben. Der Zirkel der Wiedergeburt wird im Sanskrit Samsara genannt. Moksha bezeichnet die Befreiung von diesem Kreislauf der Wiedergeburt und die Vereinigung der individuellen Seele mit dem Göttlichen, dem Brahman.

Ich muss zugeben, dass mich die hinduistische Weltanschauung fasziniert hat. Bisher hatte ich mich nie intensiver mit dem Hinduismus auseinandergesetzt, doch als ich dort war, am Ort der Verbrennungsrituale, habe ich den unglaublich intensiven Glauben der Menschen gespürt. Den Glauben, der sie auf die Art mit dem Tod umgehen lässt. Es war eine sehr positive Atmosphäre dort. Der Tod wird nicht als Endpunkt, sondern als Übergang von einem Zustand zum anderen gesehen. Er wird nicht als endgültig gesehen, sondern als etwas Natürliches und Positives. Dem Tod wird eine große spirituelle Bedeutung zugeordnet. Er ist Teil eines größeren kosmischen Zyklus ist und bietet die Gelegenheit, spirituelles Wachstum und Erlösung zu erreichen.

All das wurde uns von einem Mitarbeiter der Bestattungsanlage berichtet, der uns dort ein wenig herumgeführt hatte. Ich war so fasziniert wie viel Energie dieser Ort hatte. Zunächst hatte ich großen Respekt und ein wenig Angst den Familien und gerade verstorbenen Menschen entgegenzutreten. Ich hatte Angst zu sehr in die Privatsphäre einzutreten, schließlich sind Touristen eher die letzten, die man auf einer Beerdigung haben wollen würde. Doch dem war gar nicht so. Die Familien haben uns mit Güte und Freude empfangen und uns Teilhaben lassen an dem Ritual. Es war eine Ehre für sie Menschen aus einer fremden Kultur ihren Glauben nahezubringen. Dieser Geste bin ich mit einem enormen Respekt begegnet. Obwohl die Familien sichtlich trauerten, schien es dennoch ein freudvoller Anlass zu sein. Eine ehrenwerte Verabschiedung eines geliebten Menschen.

Was für mich heftig zu verstehen war, war der kürzliche Tod des Verstorbenen. Um so unverzüglich wie nur möglich nach dem Tod verbrannt zu werden, kommen die meisten Menschen lebend mit ihren Familien bereits ein paar Tage vor dem Todestag in Varanasi an. Hierfür gibt es spezielle Hospiz-Einrichtungen. Einige warten jedoch auch auf den Straßen vor der Verbrennungsanlage. Die Vorstellung auf den Tod zu warten, beängstigt mich irgendwie, denn das Gefühl von Zeitdruck ist allgegenwärtig.  Die Vorstellung, dass all die Leute auf den Straßen auf ihren Tod warteten, wie beim Wartezimmer im Arzt war sehr heftig für mich.

Ist ein Mensch verstorben wird unverzüglich mit dem Ritual begonnen. Es besteht aus einer rituellen Waschung des Leichnams im Ganges durch die Familienangehörigen. Danach wird die Leiche auf eine der ca. 100 nebeneinander am Flussufer aufgereihten Feuerstellen gelegt und mit einem angezündeten Stock aus dem ewig brennenden Feuer angezündet. Die Familienangehörigen führen anschließend das Ritual durch mit verschiedensten Gesängen, Gebeten und Gestiken, während sie um den Leichnam herumgehen. Nach der Verbrennung, die mehrere Stunden in Anspruch nimmt, wird die Asche des Verstorbenen im Ganges verstreut.

An starken Tagen sind alle 100 Verbrennungsstellen im Dauereinsatz. Tag und Nacht werden hier Menschen verbrannt, die ein paar Stunden vorher noch selbst hierhergekommen waren. Es klingt vielleicht makaber, aber trotz des erschreckenden Eindruckes, hatte dieser Ort dennoch etwas sehr Positives an sich. Gerade an diesem Ort war ich unglaublich überwältigt von meinen Emotionen. Ich war überfordert. Negative Emotionen über Tod und Trauer und gleichzeitig positive Emotionen über Freude und der Glaube an Moksha übermannten mich. Was vor allem hart für mich war, war der Geruch. Es roch überall nach Verwesung und nach Verbrannter Haut. Niemals zuvor habe ich diesen Geruch riechen müssen. Vorbereitet war ich darauf nicht. Auch die Hitze machte mir schön zu schaffen. Zu den 45 Grad im Schatten kam außerdem noch die Hitze der Feuerstellen dazu, zwischen denen ich mich befand. Das machte meinem Kreislauf ganz schön zu schaffen.

Eine Sache, die ich mitbekommen hatte, hat mir im Nachhinein noch am meisten zu Schaffen gemacht, denn es gibt eine Ausnahmeregelung bei der Feuerverbrennung. Stirbt man eines toxischen Todes oder ist noch nicht volljährig, wird man nicht verbrannt, sondern der Leichnam wird an einen schweren Stein gebunden und auf einem Boot in den Ganges entlassen. Die Vorstellung davon, dass die Boote, die ich vor mir auf dem Fluss sah, gerade dabei waren Kinderleichen in den Fluss zu entlassen, hat mich ganz schön mitgenommen. Doch auch dieser Aspekt wurde mir mit so viel Güte und Glaube der Angehörigen nahegebracht, dass es in der Situation trotzdem positiv erschien.

Jeden Abend finden an einer anderen Stelle, etwas weiter abwärts des Flusses eine allgemeine Abschiedszeremonie statt. Gurus segneten in einer unglaublichen Feuertanzeinlage den Ganges und alle Leben, die er mich sich genommen hat. Mystische Musik untermalte die Einlage und tausende Menschen starrten gebannt auf das, was passierte. Tausende Menschen, die alle Angehörige sind der heutigen verstorbenen Personen. Traurig war jedoch niemand. Es war ein Fest. Ein Fest des Lebens und ein Dank an den Ganges und seine Funktion als Lebensspendender Fluss.

Ich war so unglaublich dankbar Teil dieser Zeremonie sein zu dürfen. Es war eine Ehre für mich nicht als Touristin abgewiesen zu werden, sondern alles intensiv miterleben zu dürfen. Ich bin der Kultur und der Religion mit dem angemessenen Respekt entgegengetreten, auch wenn einige Dinge ziemlich befremdlich für mich waren.